Der Wasser-Johannes
Johannes der Täufer begegnet im Alltag heute vielleicht nicht optisch so auffällig wie der Brückenheilige Johannes Nepomuk oder der heilige Christophorus, der manchmal übergroß auf Wänden dargestellt ist. Aber er ist doch omnipräsent, schon seines bis heute beliebten Namens wegen. Nicht allein Johannes, was aus dem Hebräischen übersetzt: „Gott ist gnädig“ bedeutet, sondern auch in den Kurzformen Hans, Jan, Jens – wie auch in anderen Sprachen: John, Giovanni, Jean. Früher sogar mit seinem Beinamen „der Täufer“: Johannes Baptist, Giovanni Battista oder Jean Baptiste. Volkstümlich wird er als der „Wasser-Johannes“ bezeichnet, in Unterscheidung vom „Wein-Johannes“, dem Evangelisten, der am 27. Dezember sein Fest hat, an dem der Johannis-Wein gesegnet wird.
Seinen Namen gibt er auch gern weiter: Das Johanniskraut ist nach ihm benannt und der Johannistrieb, der nicht nur bei Pflanzen im Frühsommer – etwa um seinen Festtag herum – vorkommt, sondern auch bei Menschen in fortgeschrittenem Alter … Die Johannisbeere natürlich und der Johanniskäfer.
Das zeigt auch etwas von der Bedeutung, die dieser große Prophet – Jesus nennt ihn sogar den größten von allen – besitzt, aber auch die Beliebtheit, die er durch alle Jahrhunderte hindurch besaß. Sie drückte sich auch aus in zahlreichen Patronaten, mittels derer sich unter anderem Winzer und Schankwirte, Böttcher, Gerber, Sattler und Lederarbeiter seiner Hilfe versicherten. Bei Kopfschmerz rief man ihn an, Schafe und Lämmer stellte man unter seinen Schutz. Vieles davon ist in Bezug auf seine Lebensweise, seine äußere Erscheinung und seine prophetischen Worte zu verstehen. Ein Patronat aber bedarf einer Erklärung, denn es erschließt sich uns nicht unmittelbar, war aber im Mittelalter sehr bedeutsam. Johannes war nämlich auch Patron der Musiker und Sänger.
Lange vor der heiligen Cäcilia (Gedenktag am 22. November) war Johannes der Täufer Patron der Musik und der Musiker. Durch seine Geburt löste er die Lippen seines stumm gewordenen Vaters Zacharias, so dass dieser seinen berühmten Gesang des „Benedictus“ anstimmte (vgl. Lukasevangelium 1,57–83). Darauf nahm der Paulus Diaconus († 799) zugeschriebene Hymnus Bezug, der im vorkonziliaren Brevier am Johannestag gesungen wurde:
Ut que-ant la -xis / re -so -na -re fi -bris / mi -ra ge -sto -rum / fa -mu -li tu-o -rum / sol -ve pol-lu -ti / la -bi -i re -a-tum, / Sanc-te Jo-an -nes. (Sollen die Diener die Wunder deiner Taten mit gelöster Stimme besingen, löse die Schuld der befleckten Lippen, heiliger Johannes.)
Im Melodieverlauf des Hymnus bilden die Anfangstöne jeder Halbzeile (mit Ausnahme des letzten) einen aufsteigenden Sechston-Ausschnitt, wobei den einzelnen Tönen im Text der ersten Strophe die Anfangssilben ut (do), re, mi, fa, sol, la entsprechen. Dieser Hymnus wurde zum Ausgangspunkt der so genannten Solmisation, die der mittelalterliche Musiktheoretiker Guido von Arezzo († um 1040) entwickelte: eine Methode, sämtliche Tonstufen eines Gesanges mit Hilfe von Silben zu singen, um ihren Ort im Tonsystem zu erkennen.
Seine äußere Gestalt, die seinem Leben in der Wüste angepasst erscheint, wird bei den Evangelisten Markus und Matthäus beschrieben: Er trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften. Als Nahrung dienten ihm Heuschrecken und wilder Honig. Wirklich?
„Mit den vermeintlichen ‚Heuschrecken‘ (lat. locusta) sind die Früchte des Lokustbaumes (sogenannter ‚Heuschreckenbaum‘ oder Courbaril) gemeint. In Palästina gehören die Früchte des Lokustbaumes, die Karoben, zu den wichtigsten Nahrungsmitteln, und gerade weil sich auch Johannes der Täufer davon ernährte, nennt man diese süßen, bohnenartigen Hülsenfrüchte bis zum heutigen Tag ‚Johannisbrot‘! Und überall, wo diese blütentragenden Bäume wachsen, gibt es auch wilden Honig. Johannisbrot und Honig passen kulinarisch auch um einiges besser zusammen als Heuschrecken und Honig. Das hätte eigentlich auch den Bibelübersetzern schon längst auffallen müssen.“ (Aus: Risi / Zürrer: Vegetarisch leben, 2008)
Dass so eine Erscheinung zur bildlichen Darstellung reizt, ist keine Frage. Am bekanntesten ist wohl seine Darstellung von Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar, wo er mit übergroßem Zeigefinger auf den Gekreuzigten deutet und ihn als die Erfüllung des Gotteslammes beim Propheten Jesaja deutet. Dazu stehen geschrieben die Worte, mit denen er Jesus am Jordan als den „Bräutigam“ erkannte: „Jener muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“
Allerdings ist diese Szene unter dem Kreuz nicht historisch; Johannes war bei der Kreuzigung Jesu selbst schon tot. Erstaunlich ist aber, dass es vor allem immer wieder das Kind Johannes ist, das den Malern und Bildhauern über die Jahrhunderte hinweg als Sujet diente – aber auch den Schriftstellern. Wer mag, kann an anderer Stelle weiterlesen.