Hermann Bausinger | Seelsorger und Leibsorger

Seelsorger und Leibsorger.
Essays über Hebel, Hauff, Mörike, Vischer, Auerbach und Hansjakob

Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2. Aufl. 2011,
160 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-940086-95-2

„Der Seelenbräu“ wird der Pfarrer des Dorfes in Carl Zuckmayers gleichnamiger Erzählung genannt – zur Unterscheidung vom „Leibesbräu“ oder kurz: dem Herrn „Bräu“, dem gewichtigen Wirt ebendort. Kontrahenten sind sie nur auf den ersten Blick, sie ergänzen sich stillschweigend und im Grunde ähneln sie einander. – Die sechs in Hermann Bausingers Buch skizzierten Schriftsteller und Dichter des 19. Jahrhunderts verkörperten beide Seiten jeweils in sich, wobei zwar alle Theologie studiert hatten, aber nur vier auch als Seelsorger antraten, Johann Peter Hebel, Eduard Mörike, Friedrich Theodor Vischer und Heinrich Hansjakob. Und nur letzterer wiederum blieb sein Leben lang dem Beruf treu. Der „Leibsorge“ kamen sie jeweils auf höchst unterschiedliche Weise nach, und nur in einem Fall – Wilhelm Hauff – bezieht Bausinger das auch auf das Essen und Trinken. Aber nicht etwa in Hauffs kurzem Leben, sondern in Blick auf seine bekannte Erzählung „Zwerg Nase“ – eines der ganz wenigen Märchen, das das Essen und Trinken sowie das Zubereiten und Kochen thematisiert.

„Leibsorge“ ist ein seltener Begriff – der badische Pfarrer Heinrich Hansjakob verwendete ihn und bezog sich damit auf sein soziales Engagement. In den sechs Essays wird die spannungsreiche Beziehung zwischen Leib und Seele am Beispiel der genannten Literaten aufgezeigt, zu denen noch Berthold Auerbach dazukommt. Dieser war mit seinen höchst erfolgreichen „Dorfgeschichten“  ein Wegbereiter für eine Literatur, die sich dem Volksleben zuwendet. Dabei ging es ihm nicht um eine romantisierende Darstellung der Volkskultur, sondern um „die Anerkennung der Selbständigkeit des Volks und seine freie Entfaltung“ – ohne überbordende staatliche und kirchliche Reglementierung. Die Liebe zu leiblichen Genüsse beschreibt Bausinger, emeritierter Tübinger Volkskundler, nicht nur bei Wilhelm Hauffs Erzählung, sondern auch am Beispiel Hebels, für den die Pfeife ein ständiges Requisit seiner Erzählungen und das Tabakrauchen ein höchst sinnliches Vergnügen darstellte. Eduard Mörike, der in seiner ihm immer wieder nachgesagten Hypochondrie ein „Leibsorger“ eigener Art war, wird in seiner besonderen Begabung als Freund und Briefeschreiber dargestellt. Heinrich Hansjakob, fast drei Jahrzehnte lang Stadtpfarrer in Freiburg, wehrt sich gegen einen Kulturbegriff der „Zelebritätskultur“, die sich in Opernhäusern und Konzertsälen abspielt, aber die Alltagskultur – vor allem in den unteren Sozialschichten – kaum zur Kenntnis nimmt. Die Leibsorge in fast wörtlichem Verständnis hatte auch Friedrich Theodor Vischer im Blick, insofern er – gerade an der Universität – für eine körperliche Bildung etwa im Gymnastischen plädierte.

Seelsorge und Leibsorge, schreibt Bausinger in einem den sechs Skizzen vorangestellten Essay, gehören im Grunde immer zusammen, und es ist kein Wunder, dass die Geistlichen in früheren Jahrhunderten einen wesentlichen Beitrag zur Volksaufklärung leisteten. Wenn Kirchen heute in diversen Bildungseinrichtungen versuchen, möglichst viele Bereiche des Alltagslebens in ihren Kompetenzbereich zu ziehen, so mutet das doch eher ausgriffig an – vielleicht weil sie nicht mehr so dem  Alltag der Menschen nahe ist, wie sie das am Beispiel der genannten sechs Personen war.

Bausinger schreibt klug und erhellend, essayistisch-unterhaltend. Das Buch ist bereits 2009 erscheinen; inzwischen wurde der Ladenpreis aufgehoben – aber es ist noch erhältlich und unbedingt lesenswert.

 

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