Ein Besen als Heiligen-Attribut … Gedanken zur Demut im Monat November
Ein Begriff, der längst veraltet zu sein schein, hat in den letzten Jahren wieder Konjunktur: Demut. Nicht erst in Zeiten der (Corona-)Krise wird immer wieder eine „Kultur der Demut“ gefordert, schon seit längerem haben Politiker und andere Mächtige die Mutter aller Tugenden für sich wiederentdeckt, wie man es an Wahl-Abenden immer wieder hören kann. Wahlergebnisse werden „demütig“ zur Kenntnis genommen – die Haltung des Sich-klein-Machens gegenüber dem Souverän, dem Wähler, wird betont. Macht-Verantwortung wird mit „großer Demut“ angenommen, eine neue Volkstümlichkeit macht sich an der Spitze breit. Sogar Fußballer zelebrieren die Tugend der Bescheidenheit und mahnen, nach großen Siegen demütig zu bleiben. Öffentliche Demut entlastet – und zahlt sich aus, so das Kalkül. So wird die Demut auch in Karriere-Tipps als ein „enorm unterschätztes Machtmittel“ empfohlen: Wer sich öffentlich klein macht, macht sich in Wirklichkeit mächtig. Demut als Strategie.
Was die Demut wirklich ist zeigen uns etliche Heilige im Herbst – wie Franziskus (4. 10.), der den Weg der Nahfolge Jesu und des Sich-klein-Machens konsequent gagangen ist und als Poverello vielen Menschen ein Vorbild gab. Man mag weiterhin an Martin von Tours denken (11. 11.), dessen Demut vor dem Bischofsamt sein Biograph Sulpicius Severus beschreibt. Dass er sich im Stall versteckte und von Gänsen verraten wurde, ist in der Vita zwar nicht belegt, wohl aber, dass es eines Tricks bedurfte, um ihn zur Kirche zu bewegen. Auch vor dem Diakonenamt, für das ihn Hilarius von Poitiers zu gewinnen suchte, wich er schon zurück: „Martinus sträubte sich immer aufs neue dagegen, da er unwürdig sei“, schreibt Sulpicius.
Auch als junger Bischof bereits asketisch, bescheiden und demütig wirkte der heilige Karl Borromäus (4. 11.). Sein Leitwort für das Bischofsamt lautete auch „Humilitas“, Demut. Als Hirte für die ihm anvertrauten Gläubigen setzte er während der großen Pestzeit in Mailand sein Leben aufs Spiel, indem er selbst den Kranken die Sakramente spendete. Er gab seinem Klerus darin ein Vorbild des Dienstes und machte den Menschen Mut.
Den Dienst an den Kranken verrichtete auch Martin von Porres in Lima (3. 11). Er war der uneheliche Sohn eines spanischen Kolonialbeamten. Schon als Jugendlicher lebte er als Laienbruder in einem Doninikanerkloster. Da er als Mulatte keine Möglichkeit hatte, Priester zu werden, diente er den Mitbrüdern auf einfache Weise, er fegte die Gänge, putzte, kochte, wusch und schnitt die Haare und Bärte der Mönche. Erst 1693, mit 24 Jahren, trat er gegen den Willen des Vaters dem Orden bei und legte seine Gelübde ab. Er blieb aber im einfachen Dienst, vor allem widmete er sich den Kranken. Mit einem Besen in der Hand wird er dargestellt – seltenes Attribut eines Heiligen.
Und schließlich die heilige Elisabeth (19. 11.). Als Frau des Landgrafen von Thüringen war ihr das fürstliche und höfische Leben nicht fremd – und doch zog es sie hinunter von der Burg, hinein in das Leben der einfachen Menschen, denen sie später sogar mit und in einem eigens errichteten Spital in Marburg nahe war und half. Sie gab alles auf, was sie hatte, um sich denen hinzugeben, die sie brauchten. Welch ein Mit zum Dienst!
„Demut“ bedeutet etymologisch Bereitschaft, Mut zum Dienen. Ob das Politikern und Fußballern so bewusst ist? Hier wird „Demut“ gern im Sinne von „Bescheidenheit“, „Auf dem Teppich bleiben“ benutzt, was ja auch schon löblich ist.
Ein wundervolles Beispiel der Demut gibt Lew Tolstoi in einer kleinen, 1905 entstandenen Geschichte, die posthum (1911) veröffentlich wurde: „Aljoscha, der Topf“
Aljoscha, der Topf
Aljoscha war ein kleiner Junge und lebte in Russland. Man nannte ihn „Aljoscha der Topf“, weil seine Mutter ihn einmal mit einem Topf Milch zur Frau des Diakons geschickt hatte, dabei war er gestolpert und hatte ihn zerbrochen. Seitdem trug er den Spitznamen „der Topf“. Er war klein, dünn und hatte eine große Nase, wegen der er auch verspottet wurde. Aljoscha ging in die Dorfschule, aber er war nicht gut im Unterricht, außerdem hatte er wenig Zeit zum Lernen. Sein älterer Bruder arbeitete in der Stadt bei einem Kaufmann, und so musste Aljoscha schon früh seinem Vater helfen. Er war geschickt, hatte aber wenig Kraft.
Aljoscha war immer fröhlich. Wenn sich die Kinder über ihn lustig machten, lachte er entweder oder schwieg. Wenn sein Vater mit ihm schimpfte, blieb er stumm und hörte aufmerksam zu, und sobald die Schelte vorbei war, lächelte er und machte mit seiner Arbeit weiter. Als Aljoscha neunzehn war, wurde sein Bruder zu den Soldaten eingezogen. So gab ihn sein Vater dem Kaufmann an Stelle seines Bruders. Aljoscha bekam dessen alte Stiefel, den alten Mantel, dazu die Mütze seines Vaters und wurde in die Stadt gebracht. „Er ist ein guter Arbeiter“, sagte der Vater. „Er sieht ziemlich dünn aus, aber er ist zäh. Und er ist sehr willig.“
Die Familie des Kaufmanns war nicht sehr groß. Aljoscha gefiel ihnen anfangs
nicht. Er war schlecht gekleidet und hatte keine Manieren, aber sie gewöhnten sich bald an ihn. Aljoscha arbeitete noch besser als sein Bruder; er war wirklich sehr willig. Man trug ihm alle möglichen Besorgungen auf, die er schnell und bereitwillig nacheinander erledigte. So wurde ihm auch hier, wie zu Hause, die ganze Arbeit auf die Schultern gelegt. Je mehr er tat, desto mehr bekam er zu tun. Die Familie und sogar die Köchin wiesen ihn an und schickten ihn von einem Ort zum anderen: „Aljoscha, tu dies! Aljoscha, tu das! Vergiss es nicht, Aljoscha!“, hörte man von morgens bis abends. Und Aljoscha lief, kümmerte sich um dies und das, vergaß nichts, fand für alles Zeit und war immer fröhlich.
Im Winter stand Aljoscha immer vor Tagesanbruch auf. Er hackte das Holz, fegte den Hof, fütterte die Kühe und Pferde, zündete die Öfen an, putzte die Stiefel, bereitete die Samoware vor, brachte Waren in den Laden, knetete den Teig für die Köchin und reinigte die Töpfe. Dann wurde er für verschiedene Besorgungen in die Stadt geschickt. Wenn er wiederkam, wurde er gefragt: „Warum warst du so lange weg?“ Schon wartete neue Arbeit auf ihn. Während des Tages aß er stückchenweise und schaffte es nur selten, sein Abendessen pünktlich zu bekommen. Die Köchin schimpfte mit ihm, weil er zu spät kam, aber sie hatte trotzdem Mitleid mit ihm und hielt ihm etwas Warmes bereit.
An den Feiertagen gab es mehr Arbeit als sonst, aber Aljoscha mochte sie, weil ihm jeder ein Trinkgeld gab. Sicherlich nicht viel, aber es war sein eigenes Geld. Als er zwei Rubel gespart hatte, kaufte er sich auf Anraten der Köchin eine rote Strickjacke und war so glücklich, als er sie anzog, dass er den Mund vor Freude nicht schließen konnte. Aljoscha kannte kein Gebet und hatte vergessen, was seine Mutter ihn gelehrt hatte. Aber er betete trotzdem, jeden Morgen und jeden Abend, er betete mit seinen Händen und bekreuzigte sich.
Eines Tages entdeckte er zu seiner großen Überraschung, dass es außer der Nützlichkeit noch ein anderes Verhältnis zwischen den Menschen gab. Statt dass man einen Menschen zum Stiefelputzen, für Botengänge und zum Anspannen von Pferden braucht, will man ihn gar nicht gebrauchen, sondern gernhaben und ihn streicheln. Diese Entdeckung machte er durch die Köchin Ustinja. Sie war jung, hatte keine Eltern und arbeitete ebenso hart wie Aljoscha. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er, dass er, er selbst, nicht nur sein Dienst, einem anderen Menschen etwas bedeutete. Wenn seine Mutter ihn bemitleidete, war es ihm ganz natürlich vorgekommen. Aber hier war es Ustinja, eine völlig Fremde: Sie hob ihm heißen Brei mit Butter auf und beobachtete ihn, während er ihn aß. Wenn er sie ansah, begann sie zu lachen, und er lachte auch. Das war so neu und fremd für ihn, dass es Aljoscha Angst machte. Aber er freute sich trotzdem. Er dachte oft an sie, wenn er bei der Arbeit war oder bei Besorgungen. Ustinja half ihm, wann immer sie konnte, und er half ihr. So wuchs in ihm der Gedanke, ob sie nicht heiraten könnten, und er schlug ihr dies vor. „Ich verstehe, Töpfchen; du hast deine Sprache gefunden, nicht wahr?“, rief sie und klopfte ihm auf den Rücken. „Warum nicht?“
In der Butterwoche, der Woche vor den Fasten, kam Aljoschas Vater in die Stadt, um seinen Lohn abzuholen. Die Frau des Kaufmanns hatte gehört, dass Aljoscha Ustinja heiraten wolle, und informierte ihren Mann. Der Kaufmann gab Aljoschas Vater den Lohn und erzählte ihm von den Plänen seines Sohnes und dass er nichts von verheirateten Angestellten im Haus halte. „Nun, wer hätte gedacht, dass der Narr auf so etwas kommt?“, rief der Vater aus. „Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde das klären.“ Er ging in die Küche und setzte sich an den Tisch, um auf seinen Sohn zu warten. Aljoscha machte eine Besorgung und kam atemlos zurück. Der Vater machte ihm Vorwürfe: „Man hat mir gesagt, du willst heiraten. Du wirst heiraten, wenn die Zeit gekommen ist. Ich werde eine anständige Frau für dich finden, kein Stadtflittchen.“ Der Vater redete und redete, und Aljoscha hörte zu und seufzte. Als sein Vater fertig war, lächelte Aljoscha. „Na gut. Ich lasse es sein.“ Der Vater war zufrieden. Als Aljoscha mit Ustinja allein war, erzählte er ihr, was sein Vater gesagt hatte. Ustinja weinte in ihre Schürze. Aljoscha schüttelte den Kopf. „Was soll man tun? Wir müssen tun, was man uns sagt.“ Die Frau des Kaufmanns fragte ihn am Abend, als er die Fensterläden hochzog: „Nun, werdet ihr diesen Unsinn aufgeben, wie es dein Vater gesagt hat?“ „Natürlich werden wir das tun“, antwortete Aljoscha mit einem Lächeln und brach dann in Tränen aus.
Von da an ging Aljoscha wie gewohnt seiner Arbeit nach und sprach nicht mehr mit Ustinja über ihre Heirat. Eines Tages sollte er das Dach vom Schnee befreien. Aljoscha kletterte auf das Dach und fegte den ganzen Schnee weg. Dabei rutschte er aus und stürzte herab. Er wurde ins Haus gebracht. Der Arzt kam, untersuchte ihn und fragte, wo er den Schmerz spüre. „Ich fühle ihn überall“, sagte er. „Aber das ist nicht schlimm. Ich habe nur Angst, dass der Herr sich ärgern wird. Man sollte es dem Vater sagen.“ Aljoscha lag zwei Tage lang im Bett, und am dritten Tag schickten sie nach dem Priester. „Wirst du sterben?“ fragte Ustinja. „Natürlich werde ich das. Man kann nicht ewig weiterleben. Du musst gehen, wenn die Zeit gekommen ist.“ Aljoscha sprach schnell wie immer. „Ich danke dir, Ustinja. Du warst sehr gut zu mir. Was für ein Glück, dass sie uns nicht heiraten ließen! Wo hätten wir jetzt sein sollen? So, wie es ist, ist es viel besser.“ Als der Priester kam, betete er mit seinen Händen und mit seinem Herzen. „Wie es hier gut ist, wenn man gehorcht und den anderen kein Leid zufügt, so wird es auch dort sein“, war der Gedanke darin. Er sprach wenig; er sagte nur, dass er Durst habe, und er schien sich über etwas zu wundern.
Er blieb verwundert liegen, dann streckte er sich und starb.
(Gekürzt nacherzählt)