„Wunder sind möglich“

Ralph Walker ist ein 14jähriger Junge, der eine katholische Ordensschule im kanadischen Hamilton der 1950er-Jahre besucht. Neben den alltäglichen Problemen eines Pubertierenden macht ihm vor allem die Situation zu schaffen, dass seine alleinerziehende Mutter schon seit längerer Zeit schwer erkrankt ist. Als sie in ein Koma fällt, aus welchem sie nicht wieder zu erwachen droht, glaubt Ralph, dass nur ein Wunder ihr helfen kann – und dieses Wunder wird er vollbringen: Er will bei dem in ein paar Monaten stattfindenden Boston-Marathon siegen! So beginnt er zu trainieren …

Der Film „Saint Ralph – Wunder sind möglich“ handelt von der Gewissheit, dass Wunder geschehen können, wenn man nur genügend dafür in Bewegung setzt. Auch im wahrsten Sinne des Wortes, durch Laufen.

Oder Gehen. Als der bekannte Regisseur Werner Herzog, so wird erzählt, Ende des Jahres 1974 hörte, dass die große Filmkritikerin Lotte Eisner in Paris auf den Tod erkrankt war, brach er sofort auf, um sie zu besuchen. Allerdings nicht mit dem Flugzeug oder Auto, sondern zu Fuß.

„Ich ging drei Wochen lang auf dem geradesten Weg nach Paris“, sagte Werner Herzog, „in dem sicheren Glauben, sie werde am Leben bleiben, wenn ich zu Fuß käme.“ Und so war es dann auch. Ja, die alte Dame überlebte sogar den Regisseur und starb erst ein Jahr nach ihm.

Seine Notizen auf dem Fußmarsch während der drei Wochen im Frühwinter des Jahres 1974 veröffentlichte er später als Buch; inzwischen ist es auch als Hörbuch erhältlich.

„Ich werde laufen und sie muss weiterleben“

Von einer ganz ähnlichen Geschichte handelt der Roman „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ von Rachel Joyce. Der 65jährige Rentner Harold erhält den Brief einer ehemaligen Kollegin, in dem sie sich von ihm verabschiedet, weil sie unheilbar an Krebs erkrankt sei und bald sterben wird. Als er seine Antwort zum Briefkasten bringt, spürt er, dass seine belanglosen Worte „Liebe Queenie, es tut mir sehr Leid. Alles Gute, Harold“ diesem Abschied nicht angemessen sind, und er geht am Briefkasten vorbei. An einer Tankstelle kommt er mit einer jungen Frau ins Gespräch, der er von Queenie erzählt. Sie sagt ihm: „Wenn wir fest an etwas glauben, können wir alles schaffen.“ Das bringt ihn auf einen Gedanken: Er wird den Brief nicht einwerfen. Er wird selbst zu ihr hingehen. Von einer Telefonzelle aus ruft er im Hospiz an und sagt der Schwester am Telefon: „Ich werde sie retten. Ich werde laufen, und sie muss weiterleben.“

So geht er los, von Kingsbridge an der Südküste Englands bis Berwick upon Tweed ganz im Norden, wo Queenie im Sterben liegt. Im Laufen ungeübt, ungenügend ausgerüstet, mit ein Paar Segelschuhen an den Füßen, setzt er Schritt vor Schritt, Tag für Tag, fast drei Monte hindurch, über 800 Kilometer.  Am Ende findet er Queenie noch lebend vor, aber dem Tod schon ganz nahe. Kurz darauf stirbt sie. Aber Harold hat im Gehen zu sich gefunden, zur Versöhnung mit seiner eigenen Geschichte und seiner Familie.

Form der Zudringlichkeit

Drei Geschichten, die von einem Wunder handeln – oder vom Glauben daran, dass ein Wunder eintritt, wenn man nur genug dafür einsetzt. Eine Wallfahrt oder Pilgerreise sind ein Ausdruck dieses Glaubens. Nicht ohne Grund wird der Weg des Harold Fry von einem Journalisten im Buch „Pilgerreise“ genannt. Aber es muss keine lange Strecke sein oder ein Marathon.

An den Bitt-Tagen vor Christi Himmelfahrt geht es gewöhnlich über eine viel kürzere Distanz. Seit dem Altertum finden an diesen Tagen vielfach Prozessionen statt, die sich auf das Wachsen und Gedeihen der Früchte des Feldes, in unserer Zeit aber auch auf den Frieden und andere aktuelle Anliegen beziehen.

Die Form des Sich-auf-den-Weg-Machens, die Bittprozession oder der Bittgang, ist ein Ausdruck der Intensität der Bitte. Zur körperlichen Bewegung kam früher auch noch das Fasten an den drei Tagen hinzu. Eine doppelte Mühe also, allerdings nicht ohne Berechnung, denn für solch intensives Bitten gibt es durchaus die Empfehlung von Jesus selbst: In seinem Gleichnis vom bittenden Freund meint Jesus, dass der Mann schon wegen der „Zudringlichkeit“ seines Freundes dessen Bitte erfüllen wird (Lk 11,8). So ist auch die Bittprozession, die Pilgerreise oder Wallfahrt zu sehen: Sie sind eine Form der „Auf-“ und „Zudringlichkeit“, man will Gott im wahrsten Sinne des Wortes „auf den Geist gehen“, damit er sich unseren Bitten nicht verschließe.

Leicht – und engelgleich

Der Rentner Harold hat auf seinem langen Weg nach Berwick upon Tweed nichts anderes dabei als das, was er trug und mit sich nahm, als er zum Briefkasten ging: kein Handy, keinen Rucksack, keine Wanderjacke, keine Wanderschuhe. Das erschwert sein Vorhaben, doch Beschwerlichkeit und Verzicht, so erfährt er im Laufe der Wochen, können erleichtern.

Das gilt auch für das Fasten. Schon die alten Mönchsväter strebten mit dem Fasten, vor allem mit dem Fleischverzicht, ein „engelgleiches“ Leben an. Ja, eigentlich geht es bei der Fastenzeit mehr um die Erleichterung in einem geistlichen als in einem körperlichen Sinn.

Und auch das Laufen wird gern als Bild dafür gewählt; das Fasten über längere Zeit hinweg gleicht ja einer mühsamen Wanderung. Die Entbehrungen, die man dabei auf sich nimmt, dienen dem Sieg des Geistes über den Körper und seine Begierden. Das Fasten erscheint als eine Art Training, das hilft, ein sich gestecktes Ziel zu erreichen; es ist kein Selbstzweck. „Durch das Fasten des Leibes hältst du die Sünde nieder, erhebst du den Geist und gibst uns die Kraft und den Sieg durch unseren Herrn Jesus Christus“, heißt es in einem alten Gebet.

Vielleicht fühlt man dann am Ende des Fastens ähnlich wie Werner Herzog, der, als er bei Lotte Eisner eintraf, sagte: „Madame, öffnen Sie das Fenster. Seit ein paar Tagen kann ich fliegen.“

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